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Benedikt-Anliegen

Eine „Sternstunde“ in der Geschichte der Vereinten Nationen

Die Ansprache von Benedikt XVI. vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) in New York am 17. April 2008 gehört zu den bedeutendsten politischen Reden des Papstes. Sie zählt zu den wegweisenden Dokumenten für das Verständnis der kirchlichen Sendung in Politik und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

 

von Professor Dr. Christoph Ohly

Porträt von Prof. Dr. Christoph Ohly Kommissarischer Rektor des Lehrstuhls für Kirchenrecht

Unter den zahlreichen Ansprachen, die Papst Benedikt XVI. in Rom und auf seinen Pastoralreisen gehalten hat, können eine ganze Reihe unter die Rubrik „politische Reden“ zusammengeführt werden. Dazu zählt beispielsweise seine bekannte Rede vor dem Deutschen Bundestag in Berlin (2011). Aber auch Städte wie Paris, London oder Cotonou (Benin) sind mit großen Ansprachen aus seiner Feder verbunden.

Sie kreisen um zentrale Themen im Verhältnis von Kirche und Welt, wie beispielsweise zur Bedeutung der Demokratie, zu Christentum und Interkulturalität, Rechtspositivismus und Naturrecht, Begegnung der Religionen und anderem mehr. Im Gesamt stellen sie wegweisende Dokumente für das Verständnis der kirchlichen Sendung in Politik und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts dar.

Papst Benedikt XVI. spricht vor der UNO

Auf einer Linie mit seinen Vorgängern im Petrusamt

Die Ansprache von Benedikt XVI. vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) in New York am 17. April 2008 gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten unter diesen politischen Reden. Sie kann nicht nur in die Linie der Ansprachen seiner Vorgänger Paul VI. (1965) und Johannes Paul II. (1979; 1995) eingefügt werden. In der Rede wird zugleich eine echte „Sternstunde“ in der Geschichte der Vereinten Nationen erkennbar. Die Überlegungen von Benedikt XVI. stellen dabei wahrlich keine leichte Kost dar. Man muss sich seinen Gedanken in Ruhe widmen, um drei thematische Schwerpunkte auszumachen.

Keine leichte Kost, aber ungemein wichtig

Da ist zunächst das Prinzip der Schutzverantwortung, das Benedikt XVI. in Erinnerung ruft. Darunter versteht man die Verpflichtung eines jeden Staates, die Bevölkerung vor der Verletzung von Menschenrechten wie auch vor den Folgen humanitärer Krisen zu schützen. Kann ein Staat dieser Verantwortung nicht nachkommen, muss es Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein, dabei mitzuhelfen, ohne die Souveränität des betreffenden Staates ungerechtfertigterweise zu begrenzen.

Regeln, die die Freiheit fördern

Dazu bedarf es Regeln und Strukturen, „die ihrer Natur nach auf die Förderung des Gemeinwohls und damit auf die Verteidigung der menschlichen Freiheit hingeordnet sind“. Verbunden ist damit ein wichtiger Grundsatz im Denken von Benedikt XVI., wenn er feststellt: „Diese Regeln schränken die Freiheit nicht ein. Im Gegenteil, sie fördern sie“. Auf diese Weise manifestiert der Papst erneut die umfassende Bedeutung von Normen und Regeln für das Wohl des Einzelnen wie der gesamten Menschheitsfamilie in ihren aktuellen Aufgaben.

Papst Benedikt XVI. spricht vor den Vereinten Nationen und ist am Rednerpult zu sehen.

Wo die Menschenrechte grundgelegt sind

Eng verbunden mit diesem Themenkreis ist das Thema der Menschenrechte, deren Proklamation in der Allgemeinen Erklärung aus dem Jahre 1948 den unmittelbaren Anlass der päpstlichen Rede darstellt. Für Benedikt XVI. haben diese fundamentalen Rechte des Menschen „ihre Grundlage im Naturrecht, das in das Herz des Menschen eingeschrieben und in den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen gegenwärtig ist“. Für sie einzustehen, sei „nach wie vor der beste Weg, um Ungleichheiten zwischen Ländern und gesellschaftlichen Gruppen abzubauen und für mehr Sicherheit zu sorgen“. 

Umwelt-, Klimaschutz, Solidarität und Religionsfreiheit

Zugleich sei – so Benedikt XVI. – ihre Beachtung Grund für den Einsatz zu Umwelt- und Klimaschutz, zu Solidarität mit der sogenannten „Dritten Welt“ sowie für den Einsatz in den Konfliktsituationen der Welt. In diesen habe jegliche diplomatische Bemühung Vorrang vor militärischen Einsätzen, auch wenn diese als „kollektive Aktionen der internationalen Gemeinschaft“ zur Befriedung der Konflikte nicht ausgeschlossen seien.

Unter den Menschenrechten hebt Benedikt XVI. das Recht der Religionsfreiheit hervor. Diese kann nicht allein auf eine freie Ausübung des mit der Religion verbundenen Kultes im privaten Raum ausgerichtet sein. Vielmehr muss die „öffentliche Dimension der Religion“ Berücksichtigung finden, um die Rolle der Gläubigen für den Aufbau der Gesellschaft in geeigneter Weise zu berücksichtigen.

Was unter einer „gesunden Laizität“ zu verstehen ist

Der Papst spricht in diesem Zusammenhang durchgehend von einer notwendigen „gesunden Laizität“, welche die Autonomie beider Bereiche – Staat und Kirche – anerkennt, doch zugleich in „gesunder“ und positiver Weise auf die Kooperation beider drängt, da diese letztlich im Dienst an ein und demselben Menschen stehen.

Eine für das Denken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. entscheidende Überlegung ist seine Warnung vor der unerlaubten Aufweichung oder einer illegitimen Erweiterung der Menschenrechte.

So wird der Schutz der menschlichen Person ausgehebelt

Entgegen des Verdienstes der Menschenrechtserklärung, dass „sie verschiedenen Kulturen, juristischen Ausdrucksweisen und institutionellen Modellen erlaubt hat, rund um einen grundlegenden Kern von Werten und damit von Rechten übereinzukommen“, würden heute „einfache Interessen, oft Sonderinteressen“ eingesetzt, um der Erklärung vermeintliche Rechte hinzuzufügen. Diese stünden aber – wie beispielsweise das heute oft proklamierte „Recht“ auf Abtreibung – dem Schutz der menschlichen Person diametral entgegen.

Weder wissenschaftliche Erkenntnisse noch die Frage, wie man Recht findet, kann durch eine einfache Mehrheitsentscheidung gefunden werden.

Papst Benedikt sitzt auf einem Stuhl, kurz vor seiner Rede vor den Vereinten Nationen

Recht und Gesetz dürfen folglich nicht von ihrer ethischen und rationalen Dimension gelöst werden – ein dritter entscheidender Gedanke der Ansprache, der in einem anderen Kontext auch in der „Berliner Rede“ wiederkehrt. Es darf in allen genannten Bereichen nicht darum gehen, „zwischen Ethik und Wissenschaft“, zwischen Moral und Recht zu wählen, „sondern vielmehr darum, eine wissenschaftliche Methode anzuwenden, die die ethischen Imperative wahrhaft respektiert“.

Weder wissenschaftliche Erkenntnisse noch die Frage, wie man Recht findet, kann deshalb durch eine einfache Mehrheitsentscheidung gefunden werden. Es bedarf immer der Berücksichtigung aller damit verbundenen ethischen Dimensionen. Dafür bietet Benedikt XVI. „eine fest in der religiösen Dimension verankerte Lebenssicht“ an, die hilft, durch das Erkennen des „transzendenten Wertes jedes Mannes und jeder Frau“ eine „Umkehr des Herzens“ zu Gerechtigkeit und Frieden zu vollziehen.

In Freiheit das Licht des Evangeliums bezeugen

In all dem wird schließlich auch die Bedeutung der Ausführungen von Benedikt XVI. für das persönliche Glaubensleben wie für die Sendung der Kirche in der Welt offenkundig. Der einzelne Gläubige ist ebenso wie die Kirche als Ganze gerufen, in Freiheit das Licht des Evangeliums zu bezeugen und so am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken, das bereits auf Erden im Wachsen begriffen ist.

Porträt von Prof. Dr. Christoph Ohly Kommissarischer Rektor des Lehrstuhls für Kirchenrecht

Der Autor, Professor Dr. Christoph Ohly, ist Professor für Kirchenrecht und kommissarischer Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) - St. Augustin.

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