zum Benedikt Anliegen

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Benedikt-Anliegen

Die ungehaltene Rede

Das akademische Jahr an der Universität „La Sapienza“ in Rom hätte mit einer Papst-Rede eröffnet werden sollen. Doch es kam anders. Nach Studentenprotesten sagte der Vatikan den Besuch Benedikts XVI. ab. Der Vorgang aus dem Jahr 2008 offenbart einen eklatanten Mangel an Dialogbereitschaft in der akademischen Welt und unterstreicht die inhaltliche Bedeutung der Sapienza-Ansprache. Benedikt zeigt, warum es unverzichtbar ist, nach der Wahrheit zu fragen und warum die Weisheit der großen religiösen Traditionen nicht ungestraft im „Papierkorb der Ideengeschichte“ landen darf.

 

von Dr. Thorsten Paprotny

Dr. Thorsten Paprotny iim Portrait vor einem Bücherregal

Gedanken über Vernunft und Glaube, auch über das Beziehungsgeflecht von Theologie und Philosophie hat Benedikt XVI. während seines Pontifikats öfter vorgelegt. An der Universität Regensburg ermutigte er 2006 zu einem Dialog der Religionen und Kulturen, hier wirbt er für eine vertiefte „Sensibilität für die Wahrheit“.

Papst Benedikt XVI. mit gesenktem Kopf und Lesebrille in der Hand.

Die Ansprache, die per Post kam

Die Relativierung des Wahrheitsbegriffs hat Benedikt XVI. häufig als Signatur der Zeit, in Gestalt einer „säkularistisch verhärteten Rationalität“ auftretend, kenntlich gemacht –  auch in dem Vortrag, den er an der römischen Universität „La Sapienza“ auf Einladung des Rektors zur Eröffnung des akademischen Jahres am 17. Januar 2008 halten wollte. Zwei Tage zuvor sagte er ab, nach Protestankündigungen von Studenten und Dozenten, und ließ die vorbereitete Ansprache per Post zustellen.

Benedikt XVI. erinnert an den „historischen Fundus menschlicher Weisheit“. Respektvoll würdigt er – dem Buchstaben und Geist von „Nostra aetate“ entsprechend – die Religionen der Welt, die „nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (Nostra aetate, 2). Der „Weisheit der großen religiösen Traditionen“ sei eine Realität, die „nicht ungestraft in den Papierkorb der Ideengeschichte“ geworfen werden dürfe.

Wodurch Theologie und Philosophie gefährdet sind

Benedikt erörtert das fruchtbare Zueinander von Vernunft und Glaube. Auch Philosophie und Theologie verfügten über eine gemeinsame Aufgabe, nämlich „Hüter der Sensibilität für die Wahrheit zu sein“. Doch das „eigentümliche Zwillingspaar“, also Philosophie und Theologie, sei bedroht.

Der Papst benennt Gefährdungen: „Die Theologie muss dabei bleiben, dass sie aus einem Schatz von Erkenntnis schöpft, den sie nicht selbst erfunden hat und der ihr vorausbleibt, nie ganz von ihrem Bedenken eingeholt wird und gerade so das Denken immer neu auf den Weg bringt.“ Die Theologie bedürfe der kritischen Reflexion: „Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute.“

Studenten demonstrieren gegen die Rede des Papstes an der Universität "La Sapienza“. Auch 63 der insgesamt 4.500 Dozenten der Sapienza-Universität hatten gegen die Ansprache Benedikts XVI. mobil gemacht und die Einladung des Papstes als Verstoß gegen die Trennung von Staat und Kirche abgelehnt.

Philosophie wird fremdbestimmt und passt sich geschmeidig ökonomischen wie politischen Interessen an.

Die Philosophie scheint sich dem ontologischen Wahrheitsbegriff entfremdet oder sich gar positivistisch davon gelöst zu haben. Benedikt XVI. analysiert die Lage der Philosophie heute präzise: „Die Wahrheits-Sensibilität wird immer wieder überlagert von der Interessen-Sensibilität.“ Philosophie wird gleichsam fremdbestimmt und passt sich geschmeidig ökonomischen wie politischen Interessen an.

Die Frage nach der Wahrheit aber bleibe bestehen, so Benedikt, und bleibe den Menschen heute – besonders Theologen und Philosophen – aufgetragen: „So kann auch ich an dieser Stelle nicht eigentlich eine Antwort anbieten, sondern viel eher eine Einladung, mit dieser Frage unterwegs zu bleiben – unterwegs mit den großen Ringenden und Suchenden der ganzen Geschichte, mit ihren Antworten und ihrer über jede einzelne Antwort immer neu hinweisenden Unruhe für die Wahrheit.“

Wahrheit ist mehr als Wissen

Die Wahrheit reiche hinaus über das Wissen, ziele auf die Erkenntnis des Guten: „Was ist das Gute, das uns wahr macht? Die Wahrheit macht uns gut, und das Gute ist wahr: Dies ist der Optimismus, der im christlichen Glauben lebt, weil er des Logos, der schöpferischen Vernunft ansichtig geworden ist, die sich in der Menschwerdung Gottes zugleich als das Gute, als die Güte selbst gezeigt hat.“

Für die Philosophie gelte, dass die Begegnung mit der Dimension des Glaubens wie eine „reinigende Kraft für die Vernunft selbst“ wirke. So gelinge es ihr, „mehr sie selbst zu sein“ und nicht vor der Wahrheitsfrage zu kapitulieren. Recht verstanden können Philosophie und Theologie einander läutern, bereichern und befruchten – und zu der notwendigen Besinnung auf den „Begriff der Wahrheit“ neu anstiften.

Zum sonntäglichen Angelus-Gebet nach der Absage der Rede versammelte sich eine riesige Menschenmenge auf dem Petersplatz, um dem Papst Solidarität zu bekunden.

Eine Einladung an die Vernunft

Der Papst werde weithin – und das gilt für Benedikts Vorgänger ebenso wie für seinen Nachfolger im Petrusdienst – als „Stimme der moralischen Vernunft der Menschheit“ wahrgenommen. Doch in welcher Weise tritt er im Raum der Universität auf?

Darum fragt Benedikt XVI.: „Was hat der Papst an der Universität zu tun oder zu sagen? Er darf gewiss nicht versuchen, andere in autoritärer Weise zum Glauben zu nötigen, der nur in Freiheit geschenkt werden kann. Über seinen Hirtendienst in der Kirche hinaus und vom inneren Wesen dieses Hirtendienstes her ist es seine Aufgabe, die Sensibilität für die Wahrheit wachzuhalten; die Vernunft immer neu einzuladen, sich auf die Suche nach dem Wahren, nach dem Guten, nach Gott zu machen und auf diesem Weg die hilfreichen Lichter wahrzunehmen, die in der Geschichte des christlichen Glaubens aufgegangen sind und dabei dann Jesus Christus wahrzunehmen als Licht, das die Geschichte erhellt und den Weg in die Zukunft zu finden hilft.“

Mangelnde Dialogbereitschaft

Der eklatante Mangel an Offenheit seitens etlicher Mitglieder der römischen Universität seinerzeit, der fehlende Vorschuss an Sympathie für die Person und die Gedanken des Papstes, machen deutlich, dass es für alle Wissenschaften und Wissenschaftler unverzichtbar ist, einander aufgeschlossen und dialogbereit zu begegnen. Philosophen wie Theologen dürfen sich bestärkt fühlen, diesseits wie jenseits der Universität für eine neue „Sensibilität für die Wahrheit“ ganz im Sinne von Benedikt XVI. zu werben.

Dr. Thorsten Paprotny iim Portrait vor einem Bücherregal

Der Autor, Dr. Thorsten Paprotny, lehrte von 1998 bis 2010 am Philosophischen Seminar sowie von 2010 bis 2017 am Institut für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Hannover. Er ist als freier Publizist und Autor tätig.

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