Gründonnerstag
Die Botschaft der Fußwaschung beginnt nicht erst im Abendmahlssaal. Sie zieht sich durch das ganze Leben Jesu hindurch. Ein erstes Mal wird es im Leben Jesu deutlich bei dem Festmahl, bei dem er beobachten muss, wie die geladenen Gäste sich taktlos und rücksichtslos nach den ersten Plätzen drängen. Der Herr sagt zu den Seinen, sie sollten nicht so tun. Sie sollten ruhig an den letzten Platz gehen und dem Hausherrn überlassen, ob er sie herausholt. […]
Demselben Vorgang wie beim Pharisäermahl mit den ersten Plätzen begegnen wir dann wieder beim Abendmahl des Herrn. Die Evangelisten erzählen uns, dass dabei die Jünger um den ersten Platz stritten. Sie führen das Drama der Weltgeschichte sozusagen im Kleinen noch einmal unter sich selber auf. Auch in der Kirche gibt es Welt, will uns das Evangelium damit sagen. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn das Bild der Weltgeschichte auch in sie hineinreicht und vordringen kann bis zum Heiligsten, bis zur Eucharistie. Dem aber stellt der Herr die Umwertung der Werte entgegen, die er selber ist. Er hat über seinen Platz auch im Abendmahl schon entschieden. Sein Platz ist nicht der Platz des Herrn, der Platz des Mächtigen, der Platz, der am nächsten bei den gefüllten Schüsseln oder am bequemsten ist. Er nimmt nicht einmal Platz in der Runde, sondern er geht umher als der Diener, der austeilt, und zwar sich selbst austeilt.
KNA / Foto: Siciliani/Cristian Gennari
Papst Benedikt XVI. wäscht einem Priester die Füße. Gottesdienst am Gründonnerstag, 5. April 2012 in der Lateranbasilika in Rom.
Das meint der Fußwaschungsbericht des heiligen Johannes: Der Herr wäscht den Jüngern von den Füßen Schmutz und Schweiß des Alltags weg, um sie tischfähig zu machen. Mehr noch als die anderen Evangelisten lässt Johannes deutlich werden, dass es hier nicht um einen einzelnen moralischen Akt geht. Der Herr selbst in seinem ganzen Leben ist der Akt der Fußwaschung an uns. Sein Wesen ist Herabsteigen, sein Sein ist Demut. Denn dass es ihn, den Sohn Gottes, als Menschen gibt, dies beruht ja darauf, dass er das Obergewand seiner Herrlichkeit abgelegt hat, dass er sich, mit dem groben Linnen der Menschennatur umgürtet hat. Und nun kniet er vor uns, seinen Geschöpfen. Mit seinem eigenen Leib hat er in seinem Leiden uns gewaschen, uns gereinigt von dem Gestank unseres Hochmuts und von dem Schmutz unserer Selbstsucht, um uns tischfähig zu machen für das Festmahl der Liebe Gottes. «Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr so tut, wie ich getan habe!» Dieser Satz ist mehr als eine moralische Aufforderung zu moralischen Taten. Er ist die Begründung des Christseins selbst, Einweisung in die Gemeinschaft mit Jesus Christus. Er ist die Demut des Herabsteigens.
Wir können die Identifikation mit ihm nur finden, wenn wir in diese Bewegung hineintreten, wenn wir selbst demütig werden. Ohne Demut kann man nicht glauben. Ja zu sagen zu dem Geheimnis inmitten der Welt, die es nicht anerkennt; ja zu sagen zur Grenze unseres Verstandes, zu dem Unergründlichen eines Gottes, der sich vor uns niederkniet, das geht nicht ohne Demut. Und wie es Glaube ohne Demut nicht gibt, so auch Liebe nicht. […] Das Evangelium des Gründonnerstags verankert auf diese Weise die Demut im Wesen des Christentums selbst. Sie ist der eigentliche Boden, ohne den Christsein nicht bestehen kann.
Die Botschaft der Fußwaschung (1979), in: Predigten und Fürbitten im Lesejahr C, hg. von W. Blasig, C/1, Zürich u. a. 1985, 116 –120, hier 117 f