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Benedikt-Anliegen

Geeint in Christus

Was macht aus einer Nation eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern und aus den Nationen eine Gemeinschaft der Menschheit? Vor fast 70 Jahren hat sich Joseph Ratzinger in zwei Vorträgen mit diesen Themen befasst. Seine Antworten sind auch heute noch wegweisend.

 

von Dr. Christian Schaller

Buchcover: Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften Kirche-Zeichen unter den Völkern

„Die Einheit der Nationen“ und „Die christliche Brüderlichkeit“

„Die Einheit der Nationen“ und „Die christliche Brüderlichkeit“: Beide Vorträge zusammengenommen lassen sich als Koordinatensystem für das Verständnis Joseph Ratzingers von Gesellschaft, Gemeinschaft und  Staat sehen. Hier ist vieles bereits grundgelegt, was Ratzinger später weiter entfaltet und als Papst Benedikt XVI. in seine großen Reden zu diesen Themen pointiert zum Ausdruck bringt. Beide Vorträge, die vor fast 70 Jahren verfasst wurden, sind auch heute noch unentbehrlich für die Einordnung der Themen Nächstenliebe, Caritas, Nationen und Staat.

In Christus Jesus hat nicht nur Gott die Menschen angesprochen, sondern endgültig und radikal sich selbst ansprechbar gemacht für sie. Denn in ihm ist Gott Mensch geworden und als Mensch endgültig aus seinem Ganz-Anders-Sein herausgetreten, eingegangen in die dialogische Verflochtenheit aller Menschen. Der Mensch Jesus steht als solcher in der Gesprächsgemeinschaft, die alle Menschen als Wesen gleichen Ranges grundsätzlich miteinander verbindet. Der Mensch Jesus kann angesprochen werden von jedem Menschen, aber in ihm wird Gott angesprochen.

(JRGS 8, 68 f.)

Mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. können wir auf einen Theologen zurückgreifen, der sich mit zwei Veröffentlichungen auf die Suche begeben hat, nach der „Einheit der Nationen“  und nach der „Christlichen Brüderlichkeit“ , mit der er einen Versuch gestartet hat, die Gemeinschaft der Menschen im weltlichen Bereich durch die Orientierung an Christus als gelingende Chance des menschengerechten Miteinanders zu beschreiben. In diesen beiden Veröffentlichungen, die aus Vorträgen aus den Jahren 1958 in Wien und 1962 in Salzburg hervorgegangen sind, schildert Joseph Ratzinger die Elemente, die aus einer Nation eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern gestaltet und aus den Nationen eine Gemeinschaft der Menschheit.

Papst Benedikt schaut aufs Kreuz

Einheit der Menschen – Einheit in Christus

„Friede auf Erden den Menschen guten Willens“ – der Ruf aus Bethlehem auf dem Feld der Hirten erschall fast zeitgleich mit der Ankündigung der Pax Romana durch Kaiser Augustus – und auch er war, wie Vergil prophezeite, der „längst den Vätern Verheißene, der Bringer der Goldenen Endzeit“. Was hier auf den ersten Blick als Identisches erscheint, ist doch im Kern von unüberbrückbarer Differenz.

Sah man die Einheit der Menschheit von einer irdischen Autorität initiiert und regiert, weil die Gottheit der Welt zugehörig nicht selbst regierte, ist doch der Gott Jesu Christi ein Gott, der Welt gegenüber, der die Zersplitterung des einen Adam, des Menschen durch die Trennung in der Sünde, wieder sammelte und im zweiten Adam – wie Paulus Christus theologisch charakterisiert – zum einen Leib Christi zusammenformt.

Hier stand nicht Mensch gegen Mensch, Staat gegen Staat, nicht menschlich-politische Gönner des Friedens gegen heilschaffenden Frieden, den nur Gott selbst schenken kann, nicht Konzept der Sammlung von Menschen und Untertanen unter den Vorgaben eine Staats-Systematik gegen eine religiös-motivierte Entindividualisierung des Einzelnen. Die Gemeinschaft der Christen ist die Wiedervereinigung des Menschen, der Aufbau seiner universalen Einheit als Menschheit durch das Christusmysterium in Menschwerdung, durch seine Passion und seine Auferstehung.

Highway to Heaven Fahne

Christus hat durch die Inkarnation die Menschheit, ja jeden Einzelnen verändert

Christus hat durch die Inkarnation die Menschheit, ja jeden Einzelnen verändert. Geschieht etwas an einem Menschen, vollzieht es sich an allen. Da Christus Mensch geworden ist, also Gott sich einen Menschen angekleidet hat, hat er alle Menschen an sich gezogen und in ihrem Innersten berührt. Sie sind zusammen geschmolzen zu dem einen Leib, der Christus ist.

Das Hineintreten Gottes in die Geschichte ist mit einer Dynamik der Einheit verknüpft, die den Übergang beschreibt von der Isolation in die Communio, von der Zerrissenheit in die Bewegung zu Gott hin, vom alten Adam zum neuen Adam, vom alten Menschen zum neuen Menschen.

Hier sind nicht die Mächte des Stärkeren mit seinen Armeen gemeint, der mit vermeintlicher Einheitstiftung dem Menschen einen Zaun um seine Existenz errichtet, sondern die Einholung des Menschen in den Leib Christi. Das ist es, was die Väter meinen, wenn sie die Kirche als Leib Christi bezeichnen – in Anlehnung an Paulus. Dorthin richtet sich alle Hoffnung auf die erfüllte Einheit im Namen Jesu Christi.

Geschaffen zur Freiheit und zur Würde

Und so liegt konkret der Weg in die Einheit in Christus und den Glauben an ihn. Denn dort, wo das Zentrum menschlichen Denkens und Handeln verortet ist – außerhalb der menschlichen Bedingungen und der menschlichen Verzweckung – , ist auch die Dimension der Geschöpflichkeit zu finden, die nicht Abhängigkeit, sondern Würde, nicht Fremdbestimmung, sondern Freiheit bedeutet.

Was in der Antike in der Frontstellung gegen die Stoa mit ihrer universalen Vergöttlichung von Welt und Mensch oder gegen den Platonismus mit seiner Dialektik mit seiner unüberbrückbaren Trennung von Gott und Welt durch die Kirchenväter, allen voran mit Augustinus entstanden ist, ist eine nüchterne Betrachtung der Lebenswirklichkeit des Menschen.

Die Zehn Gebote: Grundstein für eine gelingende Gesellschaft

Gott verteilt die Reiche an die Menschen, er gibt das soziale Miteinander und legt mit den Zehn Geboten den Grundstein für eine gelingende Gesellschaft, deren Basis die in Stein gemeißelten Sätze - Rechte - sind, die Moses dem Volk Israel übergab.

Wird der Mensch durch die Hinordnung auf Christus der rein innerweltlichen Verwiesenheit enthoben und damit zu einem Menschen vor dem Angesicht Gottes, ist er nicht mehr in erster Linie Bürger, Glied eines stattlichen Gemeinwesens oder Mitglied einer ideologisch-politisch gesinnten Gruppe. Er erkennt sich vielmehr in seinem eigentlichen Wesen als Mensch, der in seinen Mitmenschen endlich auch den Bruder und die Schwester sieht, deren Existenz ebenfalls in der Liebe Gottes geboren wurde. Diese Dimension des Mit-Menschlichen wieder zu erkennen und für die eigene Lebensgestaltung freizulegen, ist ebenfalls eine Grundlage des öffentlichen Miteinanders.

Auf den ersten Blick mag es kontraproduktiv erscheinen, mit einem Begriff in das Herz des Christentums einzudringen, der den „dogmatischen“ Aspekt des Christentums, seine katholische Matrix beschreibt. Aber für Ratzinger drückt sich gerade im Symbolum (Galuabensbekenntnis) die eigentliche Neuheit des christlichen Glaubens aus.

Papst Benedikt im Seitenportrait

Die wahre Verbindung unter den Menschen

Die beiden Texte bieten einen tiefen Einblick in das Verständnis von Geschwisterlichkeit und dem Miteinander der Völker und Nationen, das Joseph Ratzinger geprägt hat. Eine anhaltende und weitgreifende Dimension der Anerkennung des anderen Menschen ist begründet in der gemeinsamen Hinordnung auf den ansprechbar gewordenen Gott, der in Jesus Christus uns Menschen an die Seite getreten ist.

Keine von Menschen gemachte Vergemeinschaftung, sei es die Nation (mit allen ihrem gefährlichen Potential der Ausgrenzung und der Feindbildung) noch der Marxismus (mit seiner Kollektivierung und Egalisierung aller menschlichen und individuellen Eigenschaften) erreichen diese eine, alles auch heilende Dimension der inneren Verbundenheit:

Das Wissen, dass alle Menschen aus dem Willen Gottes entsprungen sind, ist die eigentliche Voraussetzung für den Frieden auf Erden und unter den Menschen. Das Lesen dieser beiden Vorträge, die vor fast 70 Jahren verfasst wurden, und die auch heute immer noch unentbehrlich sind für die Einordnung der Themen Nächstenliebe, Caritas, Nationen und Staat, eröffnet auch den Zugang zu einem wahren Verstehen von Schöpfung und Menschsein.

Quellen:   
Joseph Ratzinger, Die Einheit der Nationen. Eine Vision der Kirchenväter, Salzburg 1971. 22005; JRGS 1, 555-570.
Joseph Ratzinger, Die christliche Brüderlichkeit, München 1960. 2
2006; JRGS 8, 37-101.

Der Autor, Dr. Christian Schaller, ist stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI.

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