zum Benedikt Anliegen

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Benedikt-Anliegen

Ich hoffe, dass er zum Kirchenlehrer erklärt wird

Kurt Kardinal Koch würdigt das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. Der Kurienkardinal hebt die Bedeutung von Joseph Ratzinger für die Zukunft von Theologie und Kirche hervor. Ein Gespräch über das große theologische Erbe Benedikts, seinen Beitrag zur Erneuerung des Glaubens, die Folgen seines Rücktritts für das Petrusamt, über falsche Klischees und wahre Größe. Die Fragen stellte Markus Reder.

Papst Benedikt XVI. überreicht am 20. November 2010 bei einer Messe im Petersdom dem neuen Kardinal Kurt Koch das Birett.

Was empfinden Sie angesichts des Abschieds und der Trauer um Papst Benedikt XVI.?

Im Vordergrund steht natürlich Trauer darüber, dass es nicht mehr möglich sein wird, Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. als einem feinen Menschen, tiefgläubigen Christen, sehr intelligenten Theologen und weisen Bischof auf Erden persönlich zu begegnen und im Gespräch mit ihm bereichert zu werden. Im Glauben dürfen wir aber darum wissen, dass ein Mensch, der in das ewige Leben Gottes heimgerufen worden ist, uns zwar endgültig genommen, zugleich aber in neuer Weise geschenkt wird und uns noch näher ist, als er es in seinem irdischen Leben sein konnte. Von der Ewigkeit her wird er gewiss die Kirche, der er ein Leben lang gedient hat, weiterhin mit seinem Gebet begleiten. Von daher verbindet sich Trauer auch mit Dankbarkeit für das menschlich und geistig reiche Leben und Wirken des Heimgegangen. Und schließlich mischt sich in die Trauer auch Freude, vor allem darüber, dass Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. dem Antlitz des Herrn, das er ein Leben lang gesucht und es uns mit seinem persönlichen Glaubenszeugnis und seiner theologischen Reflexion nahegebracht hat, nun persönlich begegnen darf: von Angesicht zu Angesicht.

Im Mittelpunkt seines Pontifikats stand die Erneuerung der Kirche im Licht des Glaubens.

Papst Benedikt XVI im Seitenprofil vor komplett schwarzem Hintergrund.

Welche Bedeutung hatte das Pontifikat Benedikts XVI.? Wie würden Sie es bewerten und kirchengeschichtlich einordnen?

Mir scheint, dass uns immer wieder ein Papst geschenkt wird, dessen Wirken in der jeweiligen geschichtlichen Stunde besonders bedeutsam ist. Karol Wojtyla ist in jener Zeit Papst geworden, in der der Osten Europas von grausamen Diktaturen bedrängt worden ist und in der Papst Johannes Paul II. wesentlich zum Fall der Mauer und damit zur Wende im Osten beigetragen hat. Demgegenüber hat Joseph Ratzinger in jener Epoche als Papst gewirkt, in der die tiefe Krise des Glaubens und des kirchlichen Lebens im Westen Europas immer offensichtlicher zu Tage getreten ist. In dieser Situation ist es ihm ein Hauptanliegen gewesen, das Evangelium Jesu Christi zu verkünden und den katholischen Glauben in seiner Schönheit wieder zum Leuchten zu bringen. Wie bereits seine drei Enzykliken dokumentieren, hat er sich dabei stets auf den innersten Kern des Glaubens konzentriert. Im Mittelpunkt seines Pontifikats stand die Erneuerung der Kirche im Licht des Glaubens. Die acht Jahre seines Wirkens als Papst sind ein Pontifikat der Glaubensverkündigung und Glaubenserneuerung gewesen.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hinterlässt ein gewaltiges theologisches Lebenswerk. Worin besteht das theologische Erbe dieses Papstes?

Die sechzehn umfangreichen Bände seiner „Gesammelten Schriften“ sind der äußere Ausdruck seiner leidenschaftlichen Liebe zur Theologie, die sich vor allem durch drei Eigenschaften auszeichnet. Wie das Leitwort, das er sich bei seiner Bischofsweihe gewählt hat – „Mitarbeiter der Wahrheit“ – zeigt, ist er zutiefst überzeugt gewesen, dass der Mensch nicht nur wahrheitsbedürftig, sondern auch wahrheitsfähig ist. Der Glaube ist deshalb darauf angewiesen, dass er vernünftig verstanden werden kann; und die Theologie ist berufen, die Sensibilität für die Wahrheit wach zu halten und, wo nötig, zu wecken. Die Theologie Joseph Ratzingers kreist um den Dialog zwischen Glaube und Vernunft, und zwar vor allem deshalb, weil Gott selbst Vernunft, Logos ist. Gott ist zweitens aber nicht nur Logos, sondern auch schöpferische Liebe. Sie ist das Schlüsselwort seines ganzen theologischen Denkens, wie er es bereits im Jahre 1958 konzis zum Ausdruck gebracht hat: „Christlicher Glaube bezieht alles auf Gottesverehrung, aber nicht anders als auf dem Weg der Menschenliebe.“ Diese Botschaft findet Joseph Ratzinger drittens vor allem in der Heiligen Schrift vor, die für ihn das Fundament seines theologischen Denkens bildet. Er hat die Heilige Schrift in ihrer unlösbaren Zusammengehörigkeit der beiden Testamente so sehr geliebt und mit seiner Theologie und Verkündigung die Menschen so tief  in das Evangelium hineingeführt, dass man sein theologisches Werk in diesem elementaren Sinn als ganz evangelisch bezeichnen darf.

Gott in seiner ganzen Größe wieder neu sehen zu lernen und den Christusglauben zu erneuern ist eines der entscheidenden Anliegen von Joseph Ratzinger gewesen.

Papst Benedikt XVI. begrüßt Menschen in Altötting am 11. September 2006. Er schüttelt die Hände der Erwachsenen und Kinder.

Was davon ist für die Zukunft der Kirche wegweisend?

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Theologie diesen Namen mit Recht trägt; dies ist nur dann der Fall, wenn sie Lehre von Gott ist und wenn die Frage nach Gott ihre Herzmitte bildet. Weil gemäß seiner Diagnose wir Menschen heute unter einer gewissen Schwerhörigkeit oder gar Taubheit gegenüber Gott leiden, kann es für ihn keine größere Priorität als diese geben: den Menschen heute den Zugang zu Gott wieder zu erschließen, der zu uns spricht und uns seine Liebe mitteilt. Denn wir Christen glauben nicht an irgendeinen Gott, sondern wir bekennen uns zu dem Gott, der sein wahres Gesicht in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt hat. Ihn in seiner ganzen Größe wieder neu sehen zu lernen und den Christusglauben zu erneuern ist eines der entscheidenden Anliegen von Joseph Ratzinger gewesen. Darin liegt es auch begründet, dass Papst Benedikt XVI. der aufreibenden Arbeit seines petrinischen Dienstes die Zeit und die Energie abgerungen hat, um sein dreibändiges Werk über Jesus von Nazareth zu schreiben und damit als Nachfolger des Petrus sein Messiasbekenntnis im heutigen „Cäsarea Philippi“ abzulegen. Wie die Heilige Schrift die Seele seiner Theologie gewesen ist, so hat er auch die Liturgie der Kirche als jenen Lebensgrund verstanden, in dem das Evangelium lebendig bleibt, und zwar in der Überzeugung, dass die glaubwürdige Existenz der Kirche von der rechten Feiergestalt der Liturgie abhängt und vor allem davon, dass in ihr der Primat Gottes erfahrbar ist. Vorrang der Gottesfrage, Christozentralität und Priorität der Liturgie als Lebensgrund von Kirche und Theologie sind drei Kernanliegen von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., die auch für die Zukunft der Kirche wegweisend sind – und es bleiben müssen.

 

Die Priorität der Gottesfrage und die Christozentrik sind auch die wichtigsten Leitlinien des ökumenischen Wirkens von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. gewesen.

Gibt es ein besonderes ökumenisches Erbe? Und worin besteht es?

Die Ökumene ist für Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. im Kern das Bemühen um die Wiederherstellung der Einheit der Kirche als jener Gemeinschaft, die in Treue zum Evangelium und zum apostolischen Glauben lebt. Die Einheit der Kirche kann von daher in nichts anderem bestehen als in der Einheit im apostolischen Glauben, der jedem neuen Glied am Leib Christi in der Taufe übergeben und anvertraut wird. Da es an diesem Glauben vorbei keine Einheit geben kann, ist die Ökumene für ihn zutiefst eine Frage des Glaubens und nicht ein politisches Programm, das man auf dem Weg von Kompromissen einlösen könnte. Das tiefste Fundament der Ökumene des Glaubens nimmt er dabei im hohepriesterlichen Gebet Jesu wahr, in dem Er zu seinem himmlischen Vater um die Einheit seiner Jünger betet. Das Gebet Jesu ist deshalb auch der innere Ort der Einheit der Christen; und je mehr sie sich in dieses Gebet hineinziehen lassen, desto mehr werden sie auch untereinander eins sein. Das Gebet ist das eigentliche Herz des ganzen ökumenischen Weges und auch die wichtigste Wegweisung zur gemeinsamen Sendung der Christen, die sie nur in ökumenischer Gemeinschaft glaubwürdig wahrnehmen können und die darin besteht, in den heute weithin säkularisierten Gesellschaften die Gegenwart des lebendigen Gottes zu verkünden und sein menschliches Antlitz in Jesus Christus zu bezeugen. Die Priorität der Gottesfrage und die Christozentrik sind folglich auch die wichtigsten Leitlinien des ökumenischen Wirkens von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. gewesen, der es als vordringliche Pflicht des Nachfolgers des Petrus betrachtet hat, „mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten“.

Papst Benedikt grüßt vom Balkon. Man sieht den Papst von hinten mit freudig, grüßenden Händen.

Hat sich unter Benedikt XVI. der interreligiöse Dialog verändert? Welche Bedeutung hatte sein Pontifikat für das Verhältnis zum Judentum und zur islamischen Welt?

Bereits als Fundamentaltheologe hat sich Joseph Ratzinger mit der Existenz von anderen Religionen eingehend beschäftigt. Und in der stets enger zusammenrückenden Welt von heute ist ihm auch als Papst die Frage nach der Begegnung der Religionen und Kulturen zu einem bedeutsamen Thema und damit der interreligiöse Dialog zu einem wichtigen Anliegen geworden. Seine besondere Bedeutung hat es im Treffen von Assisi im Oktober 2011 gefunden, wohin er in der Nachfolge seines Vorgängers Johannes Paul II. die christlichen Kirchen und die anderen Religionen – und auch Agnostiker – zusammengerufen hat, damit sie sich in neuer Weise für die Arbeit am Frieden in der Welt verpflichten und gemeinsam und öffentlich bezeugen, dass die Zwillingsschwester der Religion auf keinen Fall Gewalt sein darf, sondern stets der Friede sein muss, der nur in der Respektierung und Förderung der Religionsfreiheit gedeihen kann. Wie nicht anders zu erwarten, hat für ihn auch in der Begegnung mit anderen Religionen die Wahrheitsfrage im Vordergrund gestanden. In dieser Überzeugung hat er auch Aussagen – wie das berühmte Zitat über Mohammed in der Vorlesung an der Universität Regensburg oder seine Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für die Juden in der außerordentlichen Form des römischen Ritus – gewagt, die zunächst zu großen Irritationen und Protesten unter Muslimen und Juden, nach eingehenden Gesprächen aber zur Intensivierung der interreligiösen Dialoge geführt haben. Auch und gerade durch solche Irritationen hindurch konnte der Papst wesentlich dazu beitragen, dass der interreligiöse Dialog weitergeführt und vertieft worden ist. Dies gilt vor allem für das Gespräch zwischen Christen und Juden, das Papst Benedikt XVI. in besonderer Weise am Herzen gelegen und das er mit persönlichem Engagement in der Verlebendigung des Judentum und Christentum gemeinsamen geistlichen Erbes gepflegt hat.

Tiefe Verwurzelung in der Tradition und Offenheit für andrängende Erneuerung waren kein Gegensatz, sondern zwei Seiten einer Medaille.

Ausstellungsraum im Geburtshaus von Papst Benedikt XVI. mit dem Bischofsstab in einer Vitrine, den Joseph Ratzinger während seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising verwendete.

Wo hat Sie Benedikt XVI. überrascht – als Theologe, als Mensch, als Pontifex?

Als Kardinal Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum Papst gewählt worden ist, ist dies eine große Überraschung gewesen – wohl zuerst für ihn selbst, hatte er doch den sehnlichen Wunsch, wieder in seine geliebte Heimat Bayern zurückzukehren und sein Jesus-Buch zu schreiben. Ebenso überraschend wie der Beginn ist auch das Ende seines Pontifikats gewesen. Dass er sich mit der Frage eines möglichen Amtsverzichts persönlich beschäftigt hat, hatte er zwar mit seinem Besuch am Grab von Papst Coelestin V. implizit angedeutet und in seinem großen Interviewbuch mit Peter Seewald „Licht der Welt“ explizit ausgesprochen: „Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.“ Dass aber ausgerechnet Papst Benedikt XVI. diesen in der Kirchengeschichte weithin neuen und in seinen künftigen Konsequenzen kaum ganz absehbaren Schritt vollziehen würde, ist vor allem auch deshalb als Überraschung wahrgenommen worden, weil er in der großen Tradition der Kirche in verbindlicher Treue verwurzelt gewesen ist, sie auch eingehend gekannt und aus ihr gelebt hat. Mit diesem in der Tradition bisher nur in äußersten Ausnahmefällen vollzogenen Schritt Benedikts ist vollends sichtbar geworden, dass bei ihm tiefe Verwurzelung in der Tradition und Offenheit für andrängende Erneuerung keinen Gegensatz, sondern zwei Seiten derselben Medaille darstellen und dass er deshalb für  - allerdings überdachte und im Gebet erwogene - Überraschungen durchaus zugänglich gewesen ist.

Sie sind Protektor des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Verändert sich mit dem Tod Benedikts XVI. die Aufgabe der Schülerkreise?

Der Schülerkreis besteht aus Doktoranden und Habilitanden in den Jahren der Lehrtätigkeit von Joseph Ratzinger an den Universitäten in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg. Sie haben sich stets vor allem um den Menschen und Professor Joseph Ratzinger versammelt. In ihrem Kreis ist auch die Idee entstanden, einen neuen Schülerkreis ins Leben zu rufen, der im Jahre 2008 gegründet worden ist. Er setzt sich aus jungen Theologen und Theologinnen zusammen, die die Tiefe und Schönheit der Theologie Joseph Ratzingers entdeckt haben, die ihre akademischen Arbeiten über seine Theologie geschrieben haben oder heute daran arbeiten und die sich verpflichtet wissen, das theologische Werk von Joseph Ratzinger zu erforschen und seinen theologischen Ansatz weiterzuführen. Da sie davon überzeugt sind, dass die Theologie Joseph Ratzingers eine hilfreiche Wegweisung auch im Dritten Jahrtausend sein wird, wird sich die Aufgabe des Neuen Schülerkreises mit dem Tod Benedikts XVI. nicht in grundlegender Weise ändern. Er weiß sich aber in die Verantwortung genommen, seine Aufgabe konsequent weiterzuführen und zu vertiefen und – auch mit öffentlichen Symposien - dazu beizutragen, die Kostbarkeiten des theologischen Denkens von Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. auch angesichts der bedeutsamen Fragen der heutigen Zeit und angesichts von neuen Herausforderungen in Gesellschaft und Kirche zum Tragen zu bringen und nach tragfähigen Antworten zu suchen.

Wer den wirklichen Menschen, Theologen, Priester, Bischof und Papst weder persönlich noch aus seinen Schriften gekannt hat, sondern auf das mediale Bild von ihm angewiesen gewesen ist, hat zum großen Teil die entstellenden Klischees über seine Person zur Kenntnis genommen, die in einzelnen Medien vor allem in deutschsprachigen Ländern vermittelt worden sind.

Papst Benedikt XVI. bei der Begrüßung seines Besuchs in der Synagoge in Rom am 17. Januar 2010.

Als Joseph Ratzinger im Jahre 2005 zum Papst gewählt wurde, stellten viele im deutschen Sprachraum überrascht fest, welch hohes Ansehen Ratzinger in der Weltkirche genoss. Wie erklären Sie die merkwürdige Diskrepanz zwischen den Ratzinger-Klischees, die es besonders im deutschen Sprachraum gab und gibt, und der Wahrnehmung seiner Person in anderen Teilen der Welt?

Mit Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil hat Joseph Ratzinger einmal scharfsichtig diagnostiziert, dass es eigentlich zwei Konzilien gegeben hat, nämlich das wirkliche Konzil der Bischöfe in der St. Peters-Basilika und das virtuelle Konzil in den Medien und dass das virtuelle Konzil sogar stärker als das wirkliche Konzil hervorgetreten ist. Eine analoge Feststellung lässt sich auch über die Person und das Wirken von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. machen. Wer den wirklichen Menschen, Theologen, Priester, Bischof und Papst weder persönlich noch aus seinen Schriften gekannt hat, sondern auf das mediale Bild von ihm angewiesen gewesen ist, hat zum großen Teil die entstellenden Klischees über seine Person zur Kenntnis genommen, die in einzelnen Medien vor allem in deutschsprachigen Ländern vermittelt worden sind. Hinzu kommt, dass einzelne Theologen mit ihrer permanenten und pauschalen Kritik das Ihre dazu beigetragen haben, ein negatives Bild von Joseph Ratzinger zu zeichnen, indem sie beispielsweise den früheren so genannt „progressiven“ Theologen vom so genannt „konservativ“ gewordenen Kardinal abgehoben haben, ohne dem Unterschied Rechnung zu tragen, dass der akademische Lehrer und der Präfekt der Glaubenskongregation in der Kirche verschiedene Aufgaben wahrzunehmen haben. Gerade die letzte Aufgabe gehört zudem zu den schwierigsten und unbequemen und doch wichtigen Verantwortungen in der Kirche, die deren Inhaber immer wieder der öffentlichen Kritik ausgesetzt sein lassen. Schließlich ist zu bedenken, dass in Deutschland oft eine klare Vorstellung vom so genannten „Deutschen Wesen“ besteht, die ebenso oft verabsolutiert wird und mit der dann jeder Deutsche, der diesem so konzipierten „Wesen“ nicht entspricht, in massiver Weise kritisiert wird. Als dann aber nach der Papstwahl ein ganz anderer Mensch als in verschiedenen Medien gezeichnet in der Öffentlichkeit erschienen und auch sichtbar geworden ist, welche Freude über die Papstwahl in anderen Ländern und Kontinenten aufgekommen ist, sind dann viele frühere Klischees über die Person Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. in der gesellschaftlichen und kirchlichen Öffentlichkeit hinfällig oder zumindest brüchig geworden.

Joseph Ratzinger ist nicht nur ein hervorragender Theologe als Wissenschaftler gewesen, sondern er hat auch stets im Dienst der Verkündigung des katholischen Glaubens gestanden. Dabei hat er im Glauben Maß und Kriterium der Theologie und der Verkündigung und nicht umgekehrt gesehen.

Papst Benedikt XVI. und der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (r.), bei der Prozession zu Beginn der Vesper.

Benedikt XVI. stand schon zu Lebzeiten im Ruf, ein großer Lehrer der Kirche zu sein. Gehen Sie davon aus, dass er eines Tages auch offiziell als „Kirchenlehrer“ verehrt werden wird?

Die Erklärung eines Theologen zum Kirchenlehrer liegt in letzter Instanz beim Papst; und einem solchen Urteil eines künftigen Papstes vorgreifen zu wollen, steht mir nicht zu. Mit vielen Menschen wünsche und hoffe ich aber, dass dies geschehen wird. Denn Joseph Ratzinger ist nicht nur ein hervorragender Theologe als Wissenschaftler gewesen, sondern er hat auch stets im Dienst der Verkündigung des katholischen Glaubens gestanden. Dabei hat er im Glauben Maß und Kriterium der Theologie und der Verkündigung und nicht umgekehrt gesehen. In der Überzeugung, dass das Wahre einfach und nur das Einfache wahr ist, hat er auch stets den Glauben der so genannt einfachen Gläubigen verteidigt und geschützt. Da der Glaube, den die Theologie reflektiert, in der Glaubensgemeinschaft der Kirche gelebt wird und deshalb kirchlicher Glaube ist, hat er sich stets auch dadurch ausgezeichnet, dass er mit dem Glauben der Kirche mitglauben und mitdenken wollte. In diesem Sinn hat er nicht danach gestrebt, eine „originelle“ Theologie zu entwickeln. Er hat sein theologisches Denken vielmehr stets an der wahren „Origo“ des Glaubens orientiert, nämlich an der Offenbarung Gottes in der Heilsgeschichte, zuhöchst in Jesus Christus, und an ihrer Weitergabe in der lebendigen Tradition der Kirche. Diese Grundhaltung macht einen wahren Kirchenlehrer aus, so dass mit Recht darauf gehofft werden darf, dass Papst Benedikt XVI. eines Tages in die Schar der großen Theologen auf der päpstlichen Kathedra wie Leo der Große und Gregor der Große aufgenommen werden wird.

Nach dem Tod von Papst Benedikt XVI. versammelt sich das Kardinalskollegium nicht zum Konklave. Sein Nachfolger, Papst Franziskus, ist bereits seit Jahren im Amt. Diese Situation führt noch einmal die historische Tragweite der Rücktrittsentscheidung Benedikts XVI. vor Augen. Wie sehr hat sein Rücktritt das Petrusamt verändert?

Nach dem vollzogenen Rücktritt von Papst Benedikt XVI. waren nicht wenige kritische Stimmen zu vernehmen, die behauptet haben, mit diesem Schritt sei das Petrusamt säkularisiert worden. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Ich sehe in seinem Amtsverzicht einen sowohl mutigen als auch und vor allem demütigen Akt. Man kann ihn freilich nur verstehen, wenn man ihn auf dem Hintergrund der Wahrnehmung seiner Person und seines Verständnisses des Amtes in der Kirche überhaupt betrachtet. Als Theologe, Bischof,  Kardinal und Papst hat Joseph Ratzinger nie seine Person in den Vordergrund gerückt, sondern sie ganz in den Dienst der Aufgabe gestellt, die ihm jeweils anvertraut worden ist. In diesem ihn auszeichnenden Wesenszug ist es begründet, dass er auch das Petrusamt in andere Hände legen wollte und auch konnte, als er zur Überzeugung gekommen war, dass die Person nicht mehr in der Lage ist, es gewissenhaft wahrzunehmen. Papst Benedikt XVI. hat damit konkret verwirklicht, was der Gelehrte David Knowles in der „Encyclopedia Britannica“ allgemein über das Papsttum als „einziger Institution, die seit dem frühen römischen Reich ununterbrochen fortbesteht“, geschrieben hat: „Das Amt an sich ist immer größer gewesen als die Persönlichkeit, und es besteht fort.“ Das mutige und zugleich demütige Zurücktreten der Person gegenüber dem Amt hat dem Amt gerade nicht geschadet, sondern hat es nochmals in seiner schönen Notwendigkeit zur Geltung gebracht.

Benedikt XVI. behalte ich gerne als überdurchschnittlich intelligenten Theologen und vor allem weisen Pontifex mit einer bescheiden-demütigen Menschlichkeit und mit einem tiefen Glauben in Erinnerung und danke dem lebendigen Gott, dass er ihn uns geschenkt hat.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l.) begrüßt Papst Franziskus nach dem Konsistorium am 27. August 2022 im Vatikan. Erzbischof Georg Gänswein, Präfekt des Päpstlichen Hauses (hinten).

Sie haben eng mit Papst Benedikt XVI. zusammengearbeitet. Wie wird er Ihnen in Erinnerung bleiben? Gibt es eine Begebenheit, die Ihnen besonders im Gedächtnis ist – vielleicht weil sie Benedikt XVI. in besonderer Weise charakterisiert?

Im Jahre 2010 hat Papst Benedikt XVI. zum Treffen seines Schülerkreises, den er jeweils in Castel Gandolfo selbst geleitet hat, mich als Referenten zum Thema der Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeladen. Über diese Einladung bin ich sehr überrascht und auch erstaunt gewesen, da Joseph Ratzinger als junger Theologe am Konzil teilgenommen und als Peritus mitgewirkt und Verlauf wie Inhalt des Konzils wohl wie kein zweiter gekannt hat. In meiner Aufgabe als Referent bin ich mir deshalb vorgekommen wie ein Klavierschüler, der vor Mozart spielen soll. Ich habe dies einleitend auch zum Ausdruck gebracht und vorgeschlagen, dass ich nur eine Kurzfassung meiner Vorträge vorlesen werde, damit genügend Raum für die Diskussion und auch für die Stellungnahmen von Papst Benedikt XVI. bleibe. Diesen Vorschlag hat er jedoch nicht gelten lassen, sondern gewollt, dass ich alles vortrage, was ich vorbereitet hatte. Ich erwähne diese Episode nur deshalb, weil ich in ihr einen charakteristischen Grundzug erblicke, der Papst Benedikt XVI. stets ausgezeichnet hat. Er hat seinem Gegenüber nie in irgendeiner Weise zu erkennen geben oder auch nur andeuten wollen, dass er ihm wissensmäßig und intellektuell überlegen ist, sondern er hat jeden stets ernst genommen, ist für dessen Beitrag ein aufmerksamer Zuhörer gewesen und hat sich so als durch und durch dialogoffener Gesprächspartner erwiesen. Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. behalte ich gerne als überdurchschnittlich intelligenten Theologen und vor allem weisen Pontifex mit einer bescheiden-demütigen Menschlichkeit und mit einem tiefen Glauben in Erinnerung und danke dem lebendigen Gott, dass er ihn uns geschenkt hat. Möge Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. im ewigen Frieden Gottes in der ihm so wichtigen Gemeinschaft der Heiligen leben und von dorther die Kirche mit seiner Fürbitte begleiten, wie er es bisher im Monastero „Mater Ecclesiae“ getan hat!

Ein Portrait von Kurienkardinal Kurt Koch

Kurienkardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums für die Förderung der Einheit der Christen. 2010 berief ihn Papst Benedikt XVI. in das Kardinalskollegium. Der Theologe aus der Schweiz gilt als exzellenter Kenner der Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI.

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