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Benedikt-Anliegen

Die positive Kraft des Konzils

In den USA fand vom 19. bis 21. Oktober 2022 ein internationaler Kongress zur Ekklesiologie Ratzingers statt. Aus diesem Anlass hat der emeritierte Papst einen Brief verfasst. Darin betont er, dass die Frage nach der Kirche in der Welt mit dem Zweiten Vatikanum zentral geworden sei. Wir dokumentieren den Brief Benedikts XVI. an Pater David Pivonka, den Präsidenten der Franziskaner-Universität Steubenville, im vollen Wortlaut.

 

Im Anschluss an die Dokumentation dieses Schreibens finden Sie ein Gepräch mit dem stv. Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg über die Konferenz in den USA und das international wachsende Interesse am theologischen Lebenswerk des emeritierten Papstes. 

Papst em. Benedikt XVI trägt Brille und ist mit Kopf gesenkt zu sehen.

An der Universität Steubenville fand im Oktober 2022 die Jahreskonferenz der Vatikanischen Stiftung Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. statt. Das Thema der Konferenz lautete „Joseph Ratzingers Vision der Kirche und ihre Relevanz für die Herausforderungen der Gegenwart“. Aus Anlass dieser internationalen Tagung in den USA hat der emeritierte Papst eine Grußwort geschrieben.

Der Brief Benedikts XVI. im vollen Wortlaut:

Vatikanstadt
04. 10. 2022

Rev. Father Dave Pivonka, TOR
President

Franciscan University of Steubenville
1235 University Boulevard

Steubenville, Ohio 43952-1792
U.S.A.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Es ist für mich eine große Ehre und Freude, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika an der Franciscan University of Steubenville ein Internationales Symposion sich mit meiner Ekklesiologie befaßt und so mein Denken und Mühen in den großen Strom einordnet, in dem es sich bewegt hat.

Als ich im Januar 1946 mit dem Studium der Theologie begann, dachte niemand an ein Ökumenisches Konzil. Als Papst Johannes XXIII. es zur allgemeinen Überraschung ankündigte, war der Zweifel groß, ob es sinnvoll, ja, ob es überhaupt möglich sein werde, die Einsichten und Fragen im Ganzen einer konziliaren Aussage zu ordnen und damit der Kirche eine Wegweisung für ihren weiteren Weg zu geben. Tatsächlich hat sich ein neues Konzil als nicht nur sinnvoll, sondern als notwendig erwiesen. Die Frage nach einer Theologie der Religionen hat sich erstmals in ihrer Radikalität gezeigt. Ebenso die Beziehung des Glaubens zur Welt der bloßen Vernunft. Beide Themen waren vorher nicht so vorgesehen. So erklärt es sich auch, daß das II. Vaticanum zunächst die Kirche mehr zu verunsichern und zu erschüttern drohte, als ihr eine neue Klarheit für ihren Auftrag zu schenken. Inzwischen zeigt sich allmählich die Notwendigkeit, die Frage vom Wesen und Auftrag der Kirche neu zu formulieren. So kommt auch die positive Kraft des Konzils langsam zum Vorschein.

Meine eigene ekklesiologische Arbeit war gezeichnet durch die neue Situation, die sich in Deutschland für die Kirche nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ergeben hat. Wenn bisher die Ekklesiologie wesentlich institutionell gedacht worden war, nahm man nun freudig die weiter reichende geistliche Dimension des Kirchenbegriffs wahr. Romano Guardini hat sie damals mit dem Wort dargestellt: „Ein Vorgang von ungeheurer Tragweite hat begonnen. Die Kirche erwacht in den Seelen.“ So wurde nun „Leib Christi“ zum tragenden Kirchenbegriff, der folglich 1943 in der Enzyklika „Mystici Corporis“ seinen Ausdruck fand. Aber mit seiner Veramtlichung hatte der Begriff von der Kirche als mystischem Leib Christi zugleich seinen Höhepunkt überschritten und wurde kritisch neu bedacht. In dieser Situation habe ich meine Dissertation über „Volk und Haus Gottes in der Lehre Augustins von der Kirche“ gedacht und niedergeschrieben. Der in Paris 1954 abgehaltene große Augustinus-Kongreß bot mir die Gelegenheit, meine Auffassung über die Position Augustins in den politischen Wirren der Zeit zu vertiefen.

Die Frage nach der Bedeutung von Civitas Dei schien damals endgültig geklärt zu sein. Die in der Schule Harnacks gewachsene Dissertation von H. Scholz über „Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte“, die 1911 erschienen war, hatte dargestellt, daß mit den zwei Civitates nicht irgendwelche Körperschaften gemeint waren, sondern es handelt sich vielmehr um die Darstellung der beiden Grundkräfte Glaube und Unglaube in der Geschichte. Daß diese Arbeit unter der Leitung von Harnack entstanden und mit Summa cum laude angenommen worden war, sicherte ihr an sich bereits ein volles Maß von Zustimmung. Überdies paßte es in die allgemein öffentliche Meinung, die der Kirche und ihrem Glauben einen schönen, aber auch ungefährlichen Platz zuwies. Wer es gewagt hätte, diesen schönen Konsens zu zerstören, konnte nur als verbohrt angesehen werden. Das Drama des Jahres 410 (Einnahme und Plünderung Roms durch die Westgoten) hat die Welt von damals und damit auch das Denken Augustins zutiefst erschüttert. Natürlich ist die Civitas Dei nicht einfach mit der Institution Kirche identisch. In dieser Hinsicht war der mittelalterliche Augustinus in der Tat ein verhängnisvoller Irrtum, der heute glücklicherweise endgültig überwunden ist. Aber die völlige Vergeistigung des Kirchenbegriffs verfehlt ihrerseits den Realismus des Glaubens und seiner Institutionen in der Welt. So ist denn auch im II. Vaticanum schließlich die Frage nach der Kirche in der Welt zum eigentlichen zentralen Problem geworden.

Dies wollte ich nur sagen, um anzudeuten, in welche Richtung mich meine Arbeit geführt hat. Dem Kongreß an der Franciscan University of Steubenville kann ich nur von Herzen wünschen, daß er hilfreich wird im Ringen um das rechte Verstehen von Kirche und Welt in dieser unserer Zeit.

Ihr

Benedikt XVI.



Bei Ratzinger sind noch viele Schätze zu heben 

Dr. Christian Schaller, stellv. Direktor des Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg, über die internationale Benedikt-Konferenz in den USA und das wachsende Interesse an der Theologie des emeritierten Papstes.

Vor kurzem fand in den USA eine internationale Tagung zu Benedikt XVI. statt. Mit welchen Eindrücken sind Sie zurückgekehrt? Wie fällt Ihre persönliche Bilanz dieses internationalen Treffens von Theologen an der Franziskaner-Universität Steubenville (Ohio) aus? 

Es waren beeindruckende und sehr interessante Tage während des Kongresses. Zum einen begeisterte die inhaltliche Kompetenz der Referenten, die aus unterschiedlichsten Ländern angereist waren und zum anderen hat man einen lebendigen, ja fast selbstverständlichen Glauben bei den Studenten erlebt. Ein quirliger Campus mit einem lebendigen Miteinander von Studenten und den Professoren, die, so war mein Eindruck, ihren gemeinsamen Mittelpunkt in ihrem Glauben haben. Dabei war nichts Künstliches, nichts Statisches, nichts Unkritisches zu sehen, sondern vielmehr ein echtes, natürliches Leben aus dem Glauben spürbar.

Gab es einen besonderen Erkenntnisgewinn, eine vertiefte Sicht der Ekklesiologie Ratzingers, die das Thema der Veranstaltung war?

Das Spektrum der Beschäftigung mit der Ekklesiologie Ratzingers gibt er letztlich mit seinen Schriften selbst vor. Die Kirche ist in der Welt, aber nicht von dieser Welt. Aber sie muss sich daher mit der Welt in einen Dialog begeben, weil sie ja den Auftrag hat, das Evangelium zu verkünden und die Menschen zu Christus und zum Glauben an ihn zu führen. Sie muss sich also selbst in eine Beziehung zu weltlichen Institutionen z. B. setzen, um als Segment menschlicher Wirklichkeit wahrgenommen zu werden. Diese Relationen zum Staat, zu anderen Konfessionen, zu anderen Religionen, zu den Naturwissenschaften gehören also unweigerlich zur Frage nach der Kirche in der Welt von Heute. Hier kann man viele Analysen und Lösungsvorschläge bei Ratzinger finden, die eine konstruktive und weiterführende Entwicklung vorantreiben könnten.

Theologisch sind die Begriffe „Leib Christi“, „Volk Gottes“, Sakramentalität der Kirche“ dabei als Basis zu sehen, die eine Kirche definieren und die aus den biblische Schriften genommen zu einer tragfähigen Begründung der Kirche als Kirche Jesu Christi dienen. Ratzingers Ekklesiologie wurde hier wirklich in ihrem Facettenreichtum herausgearbeitet.

Der Kölner Kardinal Joseph Frings (r) nahm den jungen Theologieprofessor Joseph Ratzinger als Berater mit zum Konzil nach Rom (undatiertes Foto).

Der emeritierte Papst hat sich mit einem persönlichen Brief zu dieser Tagung geäußert? Hat Sie das überrascht? Wie wurde das Schreiben Benedikts XVI. unter den Tagungsteilnehmern aufgenommen?

Überrascht hat es mich nicht, weil es zur guten Tradition bei derartigen Tagungen gehört. Ich denke, der emeritierte Papst ist dankbar dafür, dass er auf diese Weise indirekt über seine Theologie mit den Studentinnen und Studenten in das wissenschaftliche Gespräch eintreten kann. Die Teilnehmer waren natürlich begeistert, dass er dem Kongress und damit auch ihnen diese Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Wie steht es um das Ansehen Benedikts XVI. in den Vereinigten Staaten? 

Das kann nicht für das ganze Land beantworten, aber an der Franciscan University in Steubenville ist er neben dem heiligen Johannes Paul II. ein großer Lehrer des Glaubens, der durch seine Weise der Verkündigung die Menschen dort unmittelbar anspricht. Ich sehe eine große Offenheit gegenüber seiner Theologie und gegenüber seinem Pontifikat, wie auch dem Papst Franziskus gegenüber. Vielleicht sollte man in Deutschland ein wenig die amerikanische Gelassenheit annehmen und mehr das Verbindende sehen und betonen, das diesem Amt eigen ist.

Wo liegen derzeit die besonderen Forschungsschwerpunkte in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Theologie Benedikts? Gibt es hier international Unterschiede? 

In der konkreten Forschung kann man schwer nationale Unterschiede machen, denn Recherchen werden heute meist auf internationaler Ebene gemacht. Ich habe im Institut derzeit eine Doktorandin aus Washington und eine aus Mexiko zu Gast, die sich mit Ratzinger beschäftigen.

Inhaltlich sind sie völlig verschiedenen Themen „auf der Spur“: die spirituelle Theologie einerseits, ein bestimmter Aspekt seiner Eschatologie auf der anderen Seite – und das Ganze im Austausch internationaler Literatur und persönlicher Gespräche. Ratzinger hat noch viele Schätze in seinen Schriften verborgen, die gehoben werden wollen.

Die Tagung in den USA, unlängst auch eine in Spanien: Wächst international das Interesse an dem großen theologischen Erbe, das Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hinterlässt?

Ja, ich denke, das lässt sich mit dem vorher Gesagten sicherlich stützen. Man entdeckt wieder, nicht zuletzt durch die Übersetzungen der „Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften“, auch die breitgestreuten Themenfelder, denen er sich im Laufe der letzten 70 Jahre gewidmet hat, in den nicht deutschsprachigen Ländern. Viele waren in den USA über meinen Vortrag zu „Ratzinger und das Zweite Vatikanische Konzil“ erstaunt darüber, dass er so eng damit verbunden war – als Konzilsberater, als Entwürfe-Schreiber für Kardinal Frings, als Kommentator und nicht zuletzt als eifriger Verbreiter der Lehren des Konzils. Hier sieht man die Notwendigkeit über die Grenzen hinweg zu vermitteln und sich wechselseitig auszutauschen.

Worin liegt die besondere Bedeutung der Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. für die Zukunft von Glaube, Theologie und Kirche? 

Ihre Bedeutung liegt in der Klarheit der vermittelten Inhalte. Hier werden dem einfachen Gläubigen und der Fachwelt die zentralen Inhalte des Glaubens sowie ein Modell praktischen Lebens aus dem Glauben heraus vor Augen gestellt. Vernunft und Glaube (und seine Praxis) sind hier in einer Synthese gegeben, die es einem leicht macht, zu verstehen und in seinem Glauben zu leben. Mit der sprachlichen Virtuosität und der geistlichen Tiefe zusammen ergibt sich ein Gesamtbild, das jedem Menschen den Glauben in allen seinen Dimensionen erschließen kann. So sind biblische, theologiegeschichtliche und pastorale Elemente seine Grundlage. Theologie und Glaubenspraxis sind bei Ratzinger nicht ein elitäres akademisches Spiel, sondern Ausdruck einer gelingenden Existenz vor Gottes Angesicht.

Die Fragen stellte Markus Reder. 

Dr. Christian Schaller, ist katholischer Theologe und Stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg. 2013 wurde Schaller für sein Wirken mit dem Joseph-Ratzinger-Preis ausgezeichnet.