zum Benedikt Anliegen

zum

Benedikt-Anliegen

„Wie ein echter Kirchenvater“

US-Bischof Robert Barron über die Bedeutung der Theologie Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. für die Zukunft der Kirche. Warum Ratzinger mit seiner Warnung vor einer „Diktatur des Relativismus“ recht hatte, was seine Schriften so attraktiv macht und warum er zum Kirchenlehrer erklärt werden sollte. 

Bischof Barron aus den USA mit Mitra und Bischofsstab.

Woran erinnern Sie sich persönlich, wenn Sie an Benedikt XVI. zurückdenken? Was ist Ihnen in besonderer Weise in Erinnerung? Gibt es Begebenheiten oder Äußerungen, die Ihnen besonders wertvoll sind?

Meine persönliche Lieblingserinnerung an Papst Benedikt stammt aus der Zeit, als ich als Stipendiat am North American College in Rom weilte. Während dieses Aufenthalts konnte ich bei vielen der Mittwochsaudienzen von Papa Ratzinger im Freien assistieren. Dabei ging es um die Lehren der Kirchenväter. Benedikts Ansprachen waren geistvoll, verständlich, glasklar und hoch intelligent. Aber was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist die persönliche Überzeugung, mit der er diese Ansprachen vorgetragen hat. Diese war offensichtlich. Der Papst hat diese Persönlichkeiten und ihre Lehren eindeutig geliebt. Mehr als einmal beschlich mich der Gedanke, dass ich das Privileg hatte, in der Gegenwart eines echten Kirchenvaters zu stehen, eines Menschen, der in der Tradition von Chrysostomus, Hieronymus, Augustinus und Maximus dem Bekenner steht.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hinterlässt ein großes theologisches Lebenswerk. Worin sehen Sie dessen zentrale Bedeutung?

Zu einer Zeit, als ein Großteil der westlichen Theologie in Richtung Subjektivismus und Anthropozentrismus abglitt, legte Ratzinger den Schwerpunkt auf Jesus Christus als objektive Norm unseres Glaubens. Was der „Diktatur des Relativismus“ letztlich im Wege steht, ist die klare Erkentnis, dass der menschgewordene Gott an der Spitze der Wertehierarchie steht.

Papst Benedikt XVI. begrüßt die Massen im Stadion in den USA

Was an Ratzingers Theologie ist wegweisend für die Zukunft der Kirche? Und warum?

Ich wage zu behaupten, dass Ratzingers Theologie von größter Bedeutung für die Zukunft ist. In seiner „Einführung in das Christentum“ argumentiert er, dass der Glaube an Gott einem ausgeprägten Sinn für die Intelligibilität der Welt folgt. Diese universale Struktur kann nur durch den Rückgriff auf eine ursprüngliche Intelligenz erklärt werden, die sie erdacht hat. Jeder Wissenschaftler und Philosoph erkennt diese Tatsache implizit an, wenn er vom "Erkennen" der Wahrheit spricht, das heißt vom "Wiedererkennen" oder Wiederdenken des bereits Gedachten. Aus diesem Grund argumentiert Ratzinger, dass der Glaube an Gott gleichbedeutend ist mit der Bejahung des Primats des Logos gegenüber der bloßen Materie. Diese tiefe und kohärente Lehre von Gott ist in unserer Zeit, in der in den Köpfen vieler Menschen im Westen, vor allem der jungen, leider eine Art Szientismus vorherrscht, von größter Bedeutung.

Womit ist Benedikt XVI. in den USA in bleibender Erinnerung?

Unter Wissenschaftlern ist er hier vielleicht besonders in Erinnerung, weil er in einem Vortrag in New York in den späten 1980er Jahren darauf bestand, dass die Bibelwissenschaft über die historisch-kritische Methode hinausgehen und etwas vom patristischen Stil der Exegese zurückgewinnen müsse. Unter gewöhnlichen Katholiken würde ich sagen, ist vor allem seine Einfachheit, Bescheidenheit und Freundlichkeit in Erinnerung geblieben - Tugenden, die bei seinem Besuch in den Vereinigten Staaten im Jahr 2008 deutlich zu Tage traten.

Welche Relevanz hat sein theologisches Werk und sein Pontifikat für die Kirche und die Theologie in den Vereinigten Staaten?

Seine Theologie ist in den USA vielleicht am wichtigsten in Bezug auf den "Wokeismus". Als Popularisierung der kritischen Theorie, die in den 1950er und 1960er Jahren in den deutschen und französischen Akademien florierte, vertritt der Wokeismus die Relativierung von Wahrheitsansprüchen und die Privilegierung von Macht als Kategorie der sozialen Analyse. Ratzinger wandte sich gegen beide Annahmen und beharrte auf der Objektivität der Wahrheit und der bleibenden Bedeutung von Schönheit, Güte und Liebe für unser Verständnis der Gesellschaft.

Papst Benedikt XVI. im weißen Haus mit einer riesigen Torte.

Benedikt XVI. hat stets betont, dass Glaube und Vernunft zusammengehören. Das war eines seiner großen Lebensthemen. Warum ist der Zusammenhang von Glaube und Vernunft so wichtig? Inwieweit kann die Theologie Benedikts XVI. dabei helfen, diesen Zusammenhang auch künftigen Generationen zu erschließen?

Dieser Zusammenhang ist besonders wichtig im Hinblick auf den vermeintlichen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass eine der Hauptursachen für die Entfremdung junger Menschen von der verfassten Religion in der Annahme liegt, dass die moderne Wissenschaft die Ansprüche der klassischen Religionen widerlegt. Indem Ratzinger, wie wir gesehen haben, argumentierte, dass die Wissenschaften in Wirklichkeit auf einer grundlegend religiösen oder mystischen Erkenntnis beruhen, untergrub er die Grundlagen dieses antireligiösen Rationalismus.

Die katholische Kirche durchlebt krisenhafte Zeiten. Es wird über unterschiedlichste Reformen und Strukturveränderungen diskutiert, die auch Glaube und Moral der Kirche betreffen. Für Benedikt XVI war der tiefste Kern der Kirchenkrise eine Krise des Glaubens? Hat er recht?

Ja, er hat verstanden, dass alle Strukturreformen, so notwendig sie auch sind, nichts bewirken, solange die Gesellschaft als Ganzes nicht die Hierarchie der objektiven moralischen Wahrheit anerkennt, an deren Spitze der Glaube an Gott steht.

Bereits vor seiner Wahl zum Papst hat Kardinal Ratzinger vor einer „Diktatur des Relativismus“ gewarnt. Sehen Sie seine Befürchtungen bestätigt?

Wie ich vorhin bereits angedeutet habe, beruht der Wokeismus, der heute in den Gesellschaften des Westens so dominant ist, auf genau dieser Diktatur. Ratzinger hat dies auf bemerkenswert prophetische Weise vorausgesehen.

Papst Benedikt xvi in den USA im Hintergrund sitzend. Im Vordergrund singt ein junger Mann euphorisch.

Wie Papst Franziskus hat zuvor schon Benedikt XVI. die Kirche zur „Entweltlichung“ aufgerufen. Für beide eine wichtige Voraussetzung, um das Wesentliche der Sendung der Kirche wieder sichtbarer zu machen. Stimmen Sie dem zu? Wie sollte eine solche „Entweltlichung“ aussehen?

Was immer die Kirche in "der Welt" erreicht, beruht auf ihrer Überzeugung, dass das, was die Welt übersteigt, von höchster Bedeutung ist. Daher wird sich unser Engagement für politische, wirtschaftliche und kulturelle Reformen als nutzlos erweisen, wenn es nicht in den Kontext unserer Beschäftigung mit den Dingen Gottes gestellt wird.

Vielen Menschen weltweit hat Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. mit seinem Schriften und seiner Verkündigung geholfen, die Schönheit des Glaubens zu entdecken oder wieder zu entdecken. Warum kann gerade Ratzinger dabei helfen, das Entscheidende des Glaubens und der Kirche zu verstehen?

Vielleicht wird das nicht oft genug gesagt, aber Joseph Ratzinger war ein ausgezeichneter literarischer Stilist. Viele, ich wage zu behaupten, die meisten wissenschaftlichen Theologen schreiben in dem von der Wissenschaft bevorzugten „geschwollenem Stil“. Obwohl er eine gründliche akademische Ausbildung genossen hat, hat Ratzinger nie seine lyrische literarische Begabung verloren. Dieser Stil, der so sehr an den der Kirchenväter erinnert, macht ihn für viele heutige Leser zugänglich und attraktiv.

Benedikt XVI stand schon zu Lebzeiten im Ruf, ein großer Lehrer der Kirche zu sein. Nach seinem Tod haben zahlreiche Stimmen daran erinnert. Würde Sie es begrüßen, wenn er eines Tages offiziell zum „Kirchenlehrer“ erklärt würde.

Ja. Unbedingt. Mir ist keine andere Persönlichkeit bekannt, die Wesen und Stil eines „Lehres der Kirche“ besser verkörpert.

US Bischof Barron am Rednerpult

Robert Barron ist Bischof der Diözese Winona-Rochester in Minnesota und Gründer von "Word on Fire". Barron ist Bestsellerautor und hat zahlreiche Bücher, Essays und Artikel zu Theologie und geistlichem Leben veröffentlicht. Er ist gefragter Gastredner bei internationalen katholischen Großveranstaltungen. Zu Fragen des Glaubens und der Religion tritt er regelmäßig bei verschiedenen US-Fernsehsender auf. Die Internetseite von Bischof Barron, WordOnFire.org, erreicht jedes Jahr Millionen von Menschen. Barron ist einer der Katholiken mit den meisten Followern in den sozialen Medien. Seine regelmäßigen YouTube-Videos wurden über 125 Millionen Mal angesehen.