zum Benedikt Anliegen

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Benedikt-Anliegen

Vor kurzem ist in Italien ein neuer Sammelband erschienen, der Texte Benedikts XVI. zu Europa vereint. Das im Verlag Cantagalli in italienischer Sprache veröffentlichte Buch trägt den Titel „La vera Europa. Identità e Missione“ (Das wahre Europa. Identität und Mission“). Papst Franziskus hat für dieses Buch ein Vorwort geschrieben. Darin würdigt er den Mut und den Weitblick seines Vorgängers, die vielen Erscheinungsformen einer dramatischen Abkehr vom Schöpfungsgedanken und die Konsequenzen daraus klar benannt zu haben. Benedikt XVI. hatte für dieses Buch bereits 2015 eine Einleitung geschrieben. Diese lag bisher nicht in deutscher Sprache vor. Der Text erschien nun exklusiv in der Zeitung „Die Tagespost“. Mit Zustimmung des emeritierten Papstes veröffentlichen wir seinen Text hier im vollen Wortlaut.

Vor Gott dem uns für den Menschen anvertrauten Auftrag gerecht werden

 

Grenzen der Machbarkeit: Warum die „Ökologie des Menschen“ auch mit Blick auf die „homosexuellen Ehe“ konkret werden muss

 

Von Papst emeritus Benedikt XVI.

Papst Benedikt XVI. mit gesenktem Kopf und zufriedenem Lächeln.

Mit der Legalisierung der „homosexuellen Ehe“ in 16 Staaten Europas hat das Thema Ehe und Familie eine neue Dimension angenommen, an der man nicht vorbeigehen kann. Es zeigt sich eine Verbildung des Gewissens, die offenbar tief in die Kreise des katholischen Volkes hineinreicht. Darauf kann man nicht mit ein paar kleinen Moralismen antworten und auch nicht mit ein paar exegetischen Hinweisen. Das Problem geht tief und muss daher grundsätzlich bedacht werden.

Eine kulturelle Revolution, die sich der gesamten bisherigen Tradition der Menschheit entgegensetzt

Zunächst scheint es mir wichtig festzustellen, dass der Begriff einer „homosexuellen Ehe“ im Widerspruch zu allen bisherigen Kulturen der Menschheit steht, also eine kulturelle Revolution bedeutet, die sich der gesamten bisherigen Tradition der Menschheit entgegensetzt.

Zweifellos ist die rechtliche und moralische Konzeption von Ehe und Familie in den Kulturen der Welt außerordentlich verschieden. Nicht nur der Unterschied zwischen Monogamie und Polygamie, sondern auch andere weitreichende Unterschiede sind festzustellen. Dennoch ist die Grundgemeinschaft nie in Zweifel gezogen worden, dass die Existenz des Menschen in der Weise von Mann und Frau auf Fortpflanzung hingeordnet ist und dass die Gemeinschaft von Mann und Frau und die Offenheit für die Weitergabe des Lebens das Wesen dessen ausmachen, was man Ehe nennt.

Darstellung von Adam und Eva in den restaurierten Domitilla-Katakomben in Rom am 30. Mai 2017.

Die Grundgewissheit, dass der Mensch als Mann und Frau existiert, dass die Weitergabe des Lebens dem Menschen aufgegeben ist und dass eben die Gemeinschaft von Mann und Frau dieser Aufgabe dient und dass darin wesentlich über alle Unterschiede hinweg die Ehe besteht, ist eine Urgewissheit, die in der Menschheit bis heute als Selbstverständlichkeit existiert.

Eine grundlegende Erschütterung dieser menschlichen Urgewissheit ist eingeleitet worden, als durch die Pille die Trennung von Fruchtbarkeit und Sexualität zu einer grundsätzlichen Möglichkeit geworden ist. Es geht hier nicht um die Kasuistik, ob und wann eventuell die Anwendung der Pille moralisch gerechtfertigt sein kann, sondern um das grundlegend Neue, das sie als solche bedeutet – eben die grundsätzliche Trennung von Sexualität und Fruchtbarkeit.

Papst Benedikt XVI. am Schreibtisch

Wenn zunächst Sexualität von der Fruchtbarkeit getrennt wird, dann kann umgekehrt natürlich auch die Fruchtbarkeit ohne die Sexualität gedacht werden.

Diese Trennung bedeutet nämlich, dass damit alle Formen der Sexualität gleichberechtigt werden. Es gibt keinen grundsätzlichen Maßstab mehr. Wenn Sexualität und Fruchtbarkeit nicht grundsätzlich zusammengehören, werden in der Tat alle Formen von Sexualität gleichberechtigt. Diese neue Botschaft, die in der Erfindung der Pille enthalten war, hat zunächst nur langsam, aber dann immer deutlicher das Bewusstsein der Menschen umgestaltet.

Darauf folgt dann ein zweiter Schritt: Wenn zunächst Sexualität von der Fruchtbarkeit getrennt wird, dann kann umgekehrt natürlich auch die Fruchtbarkeit ohne die Sexualität gedacht werden. Es erscheint dann richtig, die Fortpflanzung des Menschen nicht mehr der zufälligen körperlichen Leidenschaft anzuvertrauen, sondern den Menschen rational zu planen und zu produzieren.

Dieser Prozess, dass Menschen nicht mehr gezeugt und empfangen, sondern gemacht werden, ist inzwischen in vollem Gang. Das bedeutet aber dann, dass der Mensch nicht mehr eine geschenkte Gabe ist, sondern ein geplantes Produkt unseres Machens. Was man machen kann, kann man aber auch zerstören. Insofern ist der wachsende Trend zum Suizid als geplanter Beendigung des eigenen Lebens ein Bestandteil des geschilderten Trends.

Es geht nicht um etwas mehr Großzügigkeit und Offenheit, sondern um die Grundfrage:

Wer ist der Mensch?

So wird aber sichtbar, dass es bei der Frage der „homosexuellen Ehe“ nicht um etwas mehr Großzügigkeit und Offenheit geht, sondern die Grundfrage ist: Wer ist der Mensch? Damit geht es auch um die Frage: Gibt es einen Schöpfer, oder sind wir alle nur gemachte Produkte? Es steht die Alternative auf: Der Mensch als Geschöpf Gottes, als Bild Gottes, als Geschenk Gottes oder der Mensch als Produkt, das er selber herzustellen weiß. Wo der Schöpfungsgedanke preisgegeben wird, ist die Größe des Menschen preisgegeben, seine Unverfügbarkeit und seine alle Planungen übersteigende Würde.

Relief in Stein von der Erschaffung der Eva

Man kann das Ganze auch noch von einer anderen Seite her ausdrücken. Die Ökologische Bewegung hat die Grenze der Machbarkeit entdeckt und erkannt, dass die „Natur“ uns ein Maß vorgibt, das wir nicht ungestraft ignorieren können. Leider ist die „Ökologie des Menschen“ noch immer nicht konkret geworden. Auch der Mensch hat eine „Natur“, die ihm vorgegeben ist und deren Vergewaltigung oder Verneinung zur Selbstzerstörung führt. Gerade darum geht es auch im Fall der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau, die im Postulat der „homosexuellen Ehe“ ignoriert wird.

Mir scheint, dass es wichtig ist, die Frage in dieser Größenordnung zu bedenken. Nur so werden wir unserem Auftrag für den Menschen vor Gott gerecht.

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